Das IV-Syndrom

Ein Streifzug durch die Gerichtssäle zeigt, warum Profiteure leichter zu einer Invalidenrente kommen als Leute mit echten Gebrechen. Die Beispiele zeigen: Missbrauch wird kaum bestraft, Gutachter und Ärzte lassen sich an der Nase herumführen.

In den Medien sind die Schummeleien zu Lasten der Sozialversicherungen – abgesehen von spektakulären Einzelfällen – meist nicht mehr als eine Kurzmeldung wert. Hinter den im Einzelnen relativ geringen Deliktsummen, die sich über die Jahre zwar schnell einmal zu mehreren hunderttausend Franken zusammenläppern, stecken oft komplizierte, aber letztlich banale Geschichten aus dem Immigrantenmilieu, die mit Übersetzern über die Landes- und Kulturgrenzen hinweg aufwendig rekonstruiert werden müssen.

Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, dass Betrugsvorwürfe in den Amtsstuben demotivierter Staatsanwälte verstauben oder gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden. Die Nonchalance, mit der Schummeleien im Sozialbereich hingenommen werden, zeitigt eine fatale Wirkung. Das geringe Risiko von Sanktionen ist für Immigranten, die oft mit einem kargen Budget auskommen müssen, schon fast eine Aufforderung zum Betrug. Sie wissen, dass Kontrollen schwierig und aufwendig sind. Das spricht sich herum. Ein Teufelskreis.
Der hohe Anteil von Immigranten bei den Betrügern ist gerichtsnotorisch. «Den Tätern geht meist jegliches Unrechtsbewusstsein ab», meint ein erfahrener Richter. Vielen fehle nicht nur der soziale Bezug zur Gesellschaft, in der sie leben, sondern auch das Verständnis für den Sozialstaat, der in ihrer Heimat mitunter gar nicht existiert. In Ländern ohne demokratische Tradition erscheint es akzeptabel, dass man sich vom Staat holt, was zu holen ist.

Wer bei der IV landet, hat in der Regel für den Rest seines Lebens ausgesorgt und braucht sich nicht mehr um ein reguläres Einkommen zu bemühen. Reicht die Rente nicht aus, kommen Ergänzungsleistungen dazu. Wenn man alles mit berücksichtigt – von Alimenten über Zahnarzt und Kinderhort bis hin zur Steuerbefreiung –, kommt eine vierköpfige Familie schnell einmal auf Sozialleistungen von monatlich 5000 Franken. Das ist mehr, als ein ungelernter Arbeiter verdient. Zudem sind Sozialrentner vor Betreibungen geschützt und können, je nach Gebrechen, auch noch einen Behindertenparkplatz beanspruchen.

von Alex Baur
weltwoche.ch