Zehn Massnahmen zum Besseren
Von Peter Keller, Landrat, Hergiswil NW
auf winkelried.info
«Zehn Massnahmen zum Besseren» habe ich meine Forderungen zur Schul- und Bildungspolitik betitelt. Ich unterlasse bewusst das Wort «Reformen». Reformen, wie sie momentan verstanden werden, hat die Schule genug zu erdulden.
Ich möchte meinen «Massnahmen» jedoch noch eine Bemerkung voranstellen. Es wird niemals eine perfekte Schule für alle Beteiligten geben. Das ist eine träumerische, letztlich fatale Vorstellung. Zum Lehrerdasein wie auch zum Schülerdasein gehören Lasten, die man schlicht zu tragen hat.
Massnahme 1: Konservative Wende vollziehen
Wir brauchen eine konservative Wende: in der Gesellschaft, in der Familie, in der Erziehung, in der Schule. Eine Reform im besten Sinne des Wortes. Denn reformieren heisst, wieder in die ursprüngliche, naturgemässe Form bringen. Das heisst eben nicht Auflösung. Reform heisst Besinnung auf das Gute, Wahre, Beständige.
Der ehemalige Internatsleiter Bernhard Bueb schrieb in seinem Bestseller Lob der Disziplin: «Der Bildungsnotstand […] ist die Folge eines Erziehungsnotstandes.» Und Mut zur Erziehung heisse vor allem Mut zur Disziplin. Dem Kind etwas abverlangen. Nicht alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Das Kind soll auch das Gefühl des Scheiterns ertragen können. Denn das Leben ist nicht nur eine Rolltreppe aufwärts.
Massnahme 2: Raus mit den 68ern
Wer Platz schaffen will für den Wert, muss zuerst den Unwert beseitigen (Karl Kraus). Das heisst konkret: Aufräumen mit den 68ern und ihrer Ideologie, denn diese hat komplett versagt. Ich nenne nur ein paar Stichworte: Wohlfühlpädagogik, Leistungsfeindlichkeit, antiautoritäre Erziehung, Schule nach dem Lustprinzip.
Massnahme 3: Erziehung durch Vorbild
Also: Raus mit den 68ern. Das heisst aber nicht: Rein mit den Rohrstockpädagogen. Die Schule braucht keine Schläger. Das Gegenrezept zur 68er Nicht-Erziehung ist die Erziehung durch Vorbild. Es geht nur über das direkte Vorleben. Das ist furchtbar anstrengend, ich weiss. Aber wer Pünktlichkeit, Disziplin, Leistungsbereitschaft einfordert, muss dies als Lehrperson selber einlösen.
«Erziehung durch Vorbild» habe ich Massnahme 3 genannt.
Wir kennen das ständige Gejammer von Schulexponenten und Bildungspolitikern, dass die Eltern ihre Erziehungsaufgaben nicht mehr oder nur noch bruchstückhaft wahrnehmen. Dass immer mehr Erziehungsaufgaben von den Eltern an die Schule abdelegiert werden. So ist es. Man kann diese Entwicklung beklagen, aber sie ist eine Tatsache. Und Tatsachen sollte man sich besser stellen. Sie kommen als Lehrer nicht darum herum, die Kinder zu erziehen. Das ist eine Last, die man zu tragen hat. Wer sie nicht tragen will, hat den Beruf verfehlt.
Massnahme 4: Es geht nicht ohne Strafen
Man kann noch so schöne Erziehungsziele formulieren, die Realität zeigt: Kinder brechen Regeln und Vereinbarungen, sie missachten Schulordnungen und Anweisungen. Was dann? Meine Erfahrung zeigt, es geht nicht ohne Strafen. Sie sind ein notwendiges und nützliches Erziehungsmittel.
Massnahme 5: Weniger Psychologen und Therapeuten
Ich erinnere mich an meinen ersten Tag im Kinderhort. Dieser Tag dauerte keine halbe Stunde. Ich weinte und schrie wie am Spiess. Ich wollte alles – nur nicht hier bleiben. Ich wollte keine «Fremdbetreuung». Ich wollte zu Hause sein. Meine Mutter gab schliesslich entnervt nach, sperrte mich in mein Zimmer und schloss die Vorhänge. Höchststrafe – ich war glücklich.
Heute würde man so ein Kind wie mich «abklären», wie es so schön hässlich heisst. Ich käme in die Therapiemühle. «Offenbar weist das Kind eine soziale Phobie auf.» Ich halte diese anhaltende Psychologisierung für ein ganz schwerwiegendes Grundübel. In der Justiz wird jeder Täter mit Verständnis überhäuft, in der Arbeitswelt werden haufenweise IV-Rentner kreiert, in der Volksschule des Kantons Zürich fliessen bereits rund ein Drittel der Gelder in «sonderpädagogische Massnahmen». Unsere Gesellschaft wird krank geschrieben, krank therapiert, krank psychologisiert. Doch wo die Erziehung versagt hat, hat die Erziehung versagt. Und nichts anderes! Mehr Klartext statt psychologischen Geschwafels.
Massnahme 6: Besinnung auf die Kernaufgaben
Jedes erfolgreiche Unternehmen weiss: Man muss sich auf die eigenen Stärken konzentrieren. In der Schule heisst das, Fokussierung auf die Kernaufgaben. Rechnen. Schreiben. Lesen.
Die Primarschulen werden vollgestopft mit allerlei Firlefanz. Jetzt sind es bereits zwei obligatorische Fremdsprachen: Englisch ab der dritten, Französisch ab der fünften Klasse. Mit welchem Erfolg? Entscheidend ist, dass die Kinder eine Sprache so gut wie möglich beherrschen. Davon ausgehend lassen sich dann auch Zweit- und Drittsprachen erlernen. Selbst an meiner Mittelschule ist es gang und gäbe, dass ich Studierende bekomme, die dreissig, vierzig Fehler bei Aufsätzen produzieren.
Massnahme 7: Mehr Klartext – weniger Kuschelwuschel
Kennen Sie Noëmi Nadelmann? Kennen Sie Dieter Bohlen? Eine überflüssige Frage, ich weiss. Sie kennen ihn. Als Sänger, der nicht singen kann. Und als Juror der Sendung «Deutschland sucht den Superstar.»
Noëmi Nadelmann kann singen. Sie ist ausgebildete Sopranistin. Und sie war auch Mitglied einer Jury, nämlich im schweizerischen Pendant zu «Deutschland sucht den Superstar». Sie lobte durchwegs und vergab fast immer Höchstnoten. Sie ist das, was man etwas abfällig eine «Kuschelpädagogin» nennt.
Zusammengefasst kann man sagen: Nadelmann ist eine exzellente Musikerin, aber sie taugt nicht als Jurorin. Bohlen kann nicht singen, aber er ist ein fabelhafter Entertainer. Er hat massgeblich zum Dauererfolg von «Deutschland sucht den Superstar» beigetragen. Warum? Weil er ein Anti-Kuschler ist. Weil er «klartextet».
Ein paar Beispiele gefällig?
«Das Ding hier heisst nicht: ‹Deutschland sucht Naturkatastrophen›.»
«Also, wenn Du bei mir im Keller singen würdest, kämen die Kartoffeln freiwillig geschält nach oben.»
«Für mich hast Du gerade zum zweiten Mal die Titanic versenkt.»
Ich plädiere nicht für mehr Dieter Bohlen in den Schulzimmern. Aber wir haben definitiv zu viele Kuschelpädagogen. Die Jungen brauchen klare Ansagen. Wir können nicht so tun, als ob alles gut und toll und super wäre. Wer so wertet, entwertet das Gute – und hilft auch dem Schlechteren nicht, sich zu verbessern.
Massnahme 8: Separierung von Problemkindern
Es gibt auch Jugendliche, denen nicht beizukommen ist. Die eine ganze Schule tyrannisieren können. Die zur öffentlichen Gefahr werden.
Es ist modisch, bei Tätern oder schwierigen Kindern immer nach Gründen für ihr Verhalten zu suchen, um Verständnis zu schaffen (siehe Massnahme 5). Aber ich habe null Verständnis für Gewalt oder sexuelle Übergriffe oder ähnliches. Wer in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, hat doch deswegen keinen Freipass, sich rücksichtslos gegenüber seinen Mitmenschen aufzuführen. Wir haben einen gewaltigen Therapiestaat für Problemfälle eingerichtet – aber die schwachen, wehrlosen, stillen Kinder, die eigentlichen Opfer, gehen dabei oft vergessen. Ein einziger Problemjugendlicher kann eine Spur der Verwüstung und Verängstigung anrichten und Dutzende Opfer produzieren. Dass solche Typen in den Schulen gelassen werden und weiter wüten können, ist verantwortungslos gegenüber den vielen anderen Kindern.
Massnahme 9: Das Positive sehen
Ich unterrichte an einer Mittelschule und ich habe grosse Freude an dieser Arbeit. Und das liegt ganz eindeutig an den Schülerinnen und Schülern. Bei allen Problemen: Es gibt viele tolle, charmante, intelligente, wache, lustige, interessierte Jugendliche – an die sollten wir gelegentlich auch mal denken.
Ich habe Ihnen gesagt, Erziehung geht nicht ohne Strafen. Aber auch nicht ohne Humor und ohne Freundlichkeit.
Massnahme 10
Nur nicht zu viele Massnahmen ergreifen… aber diese mit aller Kraft durchsetzen.
Peter Keller
Der Autor ist Mittelschullehrer am Kollegium St. Fidelis in Stans. Beim abgedruckten Text handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Referats, das Peter Keller am 23. Mai 2008 anlässlich einer «Juventus-Tagung» im Unternehmerforum Lilienberg bei Ermatingen TG