Der Ausbruch eines Bürgerkrieges führt sukzessive zu einer Umkehrung der Sozialen Pyramide, da die zuvor gesellschaftlich tragenden Status- und Berufsgruppen (v a. Bildungsbürgertum, Angestellte, Handwerk, lndustrie- und Landarbeiter) in Folge ihrer nicht unmittelbar konfliktverwertbaren Fähigkeiten schnell an gesellschaftlichem Einfluss einbüßen, wohingegen Menschen, die vormals den sozialen Bodensatz einer Entität bildeten, aufgrund ihrer "Profession" bzw. ihrer hohen Gewaltbereitschaft fuhrende Funktionen in der sich herausbildenden Bürgerkriegsgemeinschaft einnehmen. Gewaltbereite, bildungsferne und leicht zu beeinflussende Personen können innerhalb der kurzfristig aufzubauenden Soldateska enorme Sozialsprünge vollziehen. Aufstiegsdynamiken ergeben sich zudem für das gesamte kriminelle Spektrurn da sich die jeweiligen Konfliktparteien - zumal unter den Bedingungen internatiorral verhängter Wirlschafts- und Handelssanktionen - fast ausschließlich auf illegalem Wege zu finanzieren suchen. Schnell beginnen die parasitär organisierten Bürgerkriegsökonomien. an die regulären Ökonomien der Nachbarregion anzudocken und über den illegalen Handel (v.a. mit Frauen, Kindern, Waffen und Drogen) die Aufrechterhaltung der eigenen (militärischen und politischen) Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Kriegsprofiteure sind somit in erster Linie Schmuggler, Schieber, Waffenhändler sowie der gesamte Bereich der Drogen- und Menschenhändler, die naturgemäß nicht oder nur eingeschränkt am Zustandekommen eines Friedensschlusses interessiert sind. Die Angst vor der rückwirkenden Ahndung der während der Kriegszeit gemeinsam begangenen Straftaten und Kriegsverbrechen lässt die Mitglieder krimineller und/oder gewaltaktiver Aufsteigernetzwerke dabei grundsätzlich auch nach dem Ende der Kampfhandlungen in alten Loyalitäten und Abhängigkeitsstrukturen verharren, so dass diese in einer zumeist sozial atomisierten Postkonfliktgesellschaft weiterhin mit einem hohen Machteinfluss ausgestattet bleiben.
Dre aktive und führende Partizipation während der Kriegszeit 1998/99 auf Seiten der UQK kann rückblickend als nahezu spirituell anmutender Initiationsritus betrachtet werden, ohne welchen die Erlangung einer fuhrenden Position in der heutigen kosovarischen Gesellschaft nahezu ausgeschlossen ist.
Auf der Grundlage des historisch einmalig anmutenden Ausmasses der ethnischen Segregation gilt es, unumwunden zu konstatieren, dass der Versuch des Aufbaus einer multiethnischen Gesellschaft im Kosovo gescheitert ist.
Spätesiens, wenn die gegenwärtig kultivierten Blütenträume eines unabhängigen und prosperierenden Kosovo nicht reifen sollten, ist mit dem Aufkommen einer neuen Unruhewelle zu rechnen. welche das bisherige Eskalationsniveau
bei weitem ubertreffen könnte.
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"Als «clear and present danger» bezeichnen die Autoren die organisierte Kriminalität und die «grassierende» Korruption. Trotz sieben Jahren Aufbauarbeit seien Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Diebstahl, Raub und Autoschieberei die einzigen wachsenden und profitablen Wirtschaftssektoren des Landes. Der Umfang der Mafia-Aktivitäten am kosovarischen Wirtschaftskreislauf gelte als «astronomisch»: Nach konservativen Schätzungen beläuft sich der Tagesumsatz der Mafia auf rund 1,5 Millionen Euro oder 550 Millionen Euro im Jahr. Dies entspricht einem Viertel des gegenwärtigen Bruttosozialprodukts, das durch enorme internationale Gebertransfers künstlich hochgehalten wird. Das Kosovo diene ausserdem als Rückzugsort für kriminelle Akteure und habe sich zu einem «polykriminellen Multifunktionsraum» entwickelt, in dem im grossen Stil internationales Schwarzgeld gewaschen werde. Als Beispiel erwähnt wird das kosovarische Tankstellensystem. Obwohl für das Verkehrsaufkommen weniger als 150 Tankstellen genügten, existieren gegenwärtig mehr als 400 davon.
Verschärft hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren auch die Korruption. Sie reicht von den «üblichen» Schmiergeldzahlungen bis hin zu systematischen Bestechungs- und Einschüchterungsversuchen gegenüber Richtern und Staatsanwälten. Die meist jungen, schlecht ausgebildeten und unerfahrenen Richter verdienen schlecht, wissen um die Folgenlosigkeit des eigenen korrupten Verhaltens und sind angesichts der vielen Gewalttaten komplett überfordert. Mittlerweile stapeln sich mehr als 40?000 offene Strafverfahren – Korruptionsfälle kommen jährlich nur zwischen 10 und 15 vor Gericht. Selbst die mögliche Einbeziehung internationaler Richter und Staatsanwälte hat bisher nicht zur juristischen Aufarbeitung «allseits bekannter Verbrechen» von prominenten Mafiagrössen geführt, da Aussagewillige «automatisch ein hochattraktives Attentatsziel bilden»."
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