Francis Fukuyama: Das Desaster kommt erst noch

In Washington herrscht eine unrealistische Haltung über die Natur und das Ausmaß der Weltwirtschaftskrise. Die Obama-Regierung glaubt weiterhin, dass das Problem der Finanzbranche eines der Liquidität sei. Tatsächlich ist es eines der Insolvenz. Washington glaubt immer noch, man müsse die Banken nur einige Monate über Wasser halten, bis die giftigen Wertpapiere wieder etwas besser bewertet würden. Der scharfe Abschwung der Realwirtschaft aber wurde nicht nur durch die Kernschmelze des Kapitals seit vergangenem Herbst beschleunigt, er wird nun seinerseits dafür sorgen, dass der Bankensektor immer neue Schwierigkeiten bekommt – selbst gute Hypotheken, Unternehmenskredite oder Kreditkartenschulden werden jetzt faul.
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Die langfristigen Ursachen der aktuellen Krise liegen in den Reaktionen auf die Krisen zuvor. Die asiatischen Staaten, vor allem China, haben sich im Gefolge der Finanzkrise von 1997/1998 entschieden, sich hohe Liquiditätsreserven in amerikanischen Dollars aufzubauen. Dies bedeutete, dass von 2001 bis 2008 mehr als fünf Billionen US-Dollar aus ausländischen Ersparnissen in die wohlhabendste Wirtschaft der Welt, die USA, flossen und damit einen beispiellosen Kreditboom anheizten, der sowohl Privathaushalte wie Unternehmen verlockte, sich zu überschulden.
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All dies läuft nicht auf das Versagen des Kapitalismus hinaus, sondern auf das Versagen der öffentlichen Ordnung in Amerika. Es ist unvermeidlich, dass die Glaubwürdigkeit der Dinge, die den Amerikanern lieb und teuer sind, zum Beispiel Demokratie und Marktwirtschaft, als eine Folge der Krise enorm unter Druck geraten wird.

Francis Fukuyama
in cicero.de