Wir müssen der gesellschaftlichen Realität endlich ins Auge sehen. Die Jugendämter wenden inzwischen rund 6,5 Milliarden Euro im Jahr für Hilfen zur Erziehung auf. Diese Kosten steigen jährlich um fast zehn Prozent. Die Erziehungsüberforderung von Eltern nimmt in Deutschland rapide zu. Das betrifft alle, nicht nur Migranten. Gleichzeitig verlässt jedes vierte Kind, das sind fast 200.000 im Jahr, die Schule ausbildungsunfähig.
Eine Bertelsmann-Studie belegt, dass die Chance von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern, es bis zum Gymnasium zu schaffen, um 80 Prozent steigt, wenn sie schon früh eine Kita besucht haben. In der Realität allerdings haben gerade diese Eltern die stärkste Distanz zu den frühkindlichen Institutionen.
In Migrantenfamilien gibt es außerdem auch kulturelle Widerstände dagegen (Gegen Kitas). Gerade aus diesen beiden Gruppen wachsen jedoch wegen der hohen Geburtenrate in großer Zahl Kinder ohne ausreichende Chancen auf Bildung und Integration heran. Wir rasen auf ein sehr großes gesellschaftliches Problem zu und können es uns einfach nicht mehr leisten, auf den Erfolg von Appellen zu hoffen. Nach wie vor weigern wir uns, die größeren Erfolge in anderen Ländern anzuerkennen. Dort sind Krippe, Kindergarten und Ganztagsschulen längst selbstverständlich. Wir verschließen die Augen vor den Brandherden der Zukunft.
Erstens: Wir müssen uns darüber klar werden, dass gerade die Kinder der bildungsfernen Milieus von heute morgen die Renten der Bildungsbürger erarbeiten müssen. Denn diese Kinder sind die Humanressourcen der Gesellschaft. Kein Euro, den wir in ihre Köpfe statt in neue Autobahnen investieren, wird verloren sein.
Zweitens: Wir wenden pro Jahr 35 Milliarden Euro für Kindergeld auf. Ich schlage vor, nur noch die Hälfte davon bar auszuzahlen und die andere Hälfte zwingend in die Welt der Kinder, zum Beispiel in Kitas, Schulen, Lehrer, Essen und Schulbücher zu stecken. Das wären jedes Jahr 17 Milliarden Euro zusätzliche Bildungsinvestitionen.
Und drittens: Wir brauchen dringend eine durchgreifende Bildungsreform. Dazu gehört zuerst, den Aberwitz der Bildungspolitik als Länderspielwiese zu beenden und die Kompetenz für diese Schlüsselaufgabe der Zukunft dem Bund zu übertragen.
Heinz Buschkowsky
tagesspiegel.de
Heinz Buschkowsky: "Wir verschließen die Augen"
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