Christian Ortner: Nein, Herr Bundeskanzler, nicht die Spekulanten sind schuld an der Krise

"Dass dieser Spekulantenmythos trotzdem prächtig gedeiht, hat einen einfachen Grund. Sowohl für Politiker als auch für die Mehrzahl der Wähler ist es nämlich seelisch wesentlich erträglicher, irgendwelche anonymen „Zocker“ verantwortlich zu machen – und nicht etwa jene chronischen Schuldenexzesse der meisten Staaten, die tatsächlich hauptverantwortlich für die Eurokrise sind. Dass nicht Gordon Gecko, Georges Soros oder Dagobert Duck diese Krise verursacht hat, sondern kreditsüchtige Politiker und deren sozialleistungsaffinen Wähler, wird mithilfe des Spekulantenmythos erfolgreich verdrängt.

Wenn übermäßig hoch verschuldete Staaten irgendwann einmal keinen (oder einen nur sehr teuren) neuen Kredit bekommen, dann hat das ganz simple Gründe: weil kein Pensionsfonds und keine Lebensversicherung den Pensionsbeziehern und Versicherungskunden erklären will, warum die Pension leider gekürzt werden muss oder die Versicherung in der Verlustzone ist. Deshalb verkaufen derartige Unternehmen sicherheitshalber rechtzeitig italienische, portugiesische oder griechische Staatspapiere, wenn deren Lage kritisch wird: einfach, um ihre Kunden (und sich selbst) vor Schaden zu bewahren. Das ist nicht „Zockerei“ und „Spekulation“, sondern rationales Verhalten."

Christian Ortner
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