Erich Weede: Demographie, Intelligenz und Zuwanderung

Obwohl Sarrazin normative Argumente offen vertritt, überwiegen bei ihm die Sachaussagen, bei denen man die Frage nach Richtigkeit oder Falschheit und nicht nach politischer Korrektheit in den Vordergrund stellen sollte. Die Vorwürfe des „Biologismus“, des „Rassismus“ oder des „Antisemitismus“ wiegen so schwer, weil ein Zusammenhang zwischen „biologistischen“, „rassistischen“ und „antisemitischen“ Behauptungen einerseits und den nationalsozialistischen Verbrechen, vor allem an den Juden, andererseits gesehen wird. Ein logisch zwingender Zusammenhang zwischen „rassistischen“ Behauptungen und der Befürwortung oder Entschuldigung von Verbrechen setzt voraus, dass Sollens-Aussagen aus Seins-Aussagen abgeleitet werden. Niemand, der sich ernsthaft mit dem Zusammenhang von Sein und Sollen beschäftigt hat, hält das für möglich. Auch Sarrazin neigt nicht zu solchen Fehlschlüssen.

Sarrazin vertritt keine Rassenlehre. Man kann dem Werk nicht entnehmen, wie Sarrazin Rasse definieren würde oder ob und in welchem Falle er den Begriff für sinnvoll hält. Auch, ob er Juden für eine Rasse hält, erfährt man nicht. Eindeutig ist allerdings, dass Sarrazin Juden und Ostasiaten für intelligenter als Deutsche hält, dass er mehr Intelligenz für gut hält. Den Antisemitismusvorwurf können diese Auffassungen offensichtlich nicht stützen. Selbst wenn man Sarrazin eine Rassenlehre unterschiebt, dann bleibt klar, dass im Unterschied zur nationalsozialistischen Rassentheorie Deutsche keineswegs eine Spitzenstellung einnehmen. Ohne den Glauben an die Überlegenheit der Deutschen und die Abwertung der Juden hätte eine Rassentheorie weder zur Judenverfolgung noch zur Hoffnung auf den Endsieg im Weltkrieg verleiten können.

Um den Bedürftigen und Erfolglosen geben zu können, muss der Staat ja von den im Beruf und auf dem Markt Erfolgreichen nehmen. Der Sozialstaat muss Erfolg bestrafen und Misserfolg belohnen. Wenn die Menschen das merken, dann sollte man eine Abnahme der Leistungsbereitschaft erwarten.

Im Mittelpunkt von Sarrazins politischen Reformgedanken stehen Arbeitszwang für arbeitsfähige Sozialtransferbezieher jeglicher Herkunft, außerdem die Beendigung der Einwanderung in die Sozialsysteme und verschiedene Anreize dafür, dass gut ausgebildete Menschen sich leichter für Kinder entscheiden können. Massive Verbesserungen des Betreuungsangebots für Kleinkinder und Ganztagsschulen mit mehr Disziplin sollen zur besseren Ausschöpfung der vorhandenen Potentiale führen. Die Beendigung der Einwanderung in die Sozialsysteme bei gleichzeitig von Sarrazin befürworteter Offenheit für hochqualifizierte Zuwanderer aus aller Welt ist zwingend, wenn man Sarrazins Diagnose akzeptiert. Interesse an der künftigen Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates muss nicht auf patriotischen Wertvorstellungen beruhen. Jeder, der Renten-, Pensions- oder Sozialleistungsansprüche gegen den deutschen Staat auch künftig geltend machen möchte, muss daran interessiert sein, dass der Staat seine Versprechungen einlösen kann.

Der befürwortete Ausbau des staatlichen Betreuungsangebots an Kindergärten und Schulen wird viele Anhänger finden. Wer sich die Misere vieler Schulen in westlichen Ländern, auch in Deutschland, vor Augen führt, kann Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Staates, an der fast überall im Erziehungswesen dominierenden Planwirtschaft, bekommen.

Erich Weede
faz.net